Wieder sind ein paar Tage vergangen. Es ist wieder Zeit, die Fragen zum Infektionsgeschehen in Bielefeld zu formulieren, welche ich mir im Laufe der letzten Tage gestellt habe.
Vorab aber noch ein Nachtrag zu meinem letzten Artikel über die Covid-19 Lage in Bielefeld, welchen ich am 01. Februar 2022 um 07:00 Uhr veröffentlicht hatte. Unter Anderem hatte ich im Artikel die, im Bielefelder Impfbericht (PDF 2022-01-24) genannten Impfquoten der Bevölkerung in Frage gestellt. Der neue Bielefelder Impfbericht (PDF 2022-02-01), welcher im späteren Verlauf des selben Tages veröffentlicht wurde, enthielt nun einen Hinweis bzgl. der Impfquoten.
Die Impfquoten, berechnet entsprechend der RKI-Zahlen, werden auf der Basis des Impfortes berechnet.
Impfbericht Stadt Bielefeld
Auch die Neue Westfälische hat das Thema Impfquoten dann am 04.Februar 2022 aufgegriffen. Eike J. Horstmann fragte: „Überdurchschnittliche Impfquote: Sind die Bielefelder Zahlen verzerrt? (€)“ Deutschlandweit hat der parteilose Oberbürgermeister von Rostock, Claus Ruhe Madsen, in der Sendung „Markus Lanz“ vom 3. Februar 2022 (ab Minute 16) mit seiner pragmatisch-dänischen Art die mangelnde Datenqualität bzgl. des Impfstatus der Bevölkerung beschrieben und bestätigt.
Nun aber zurück zur Lage in Bielefeld.
Impfstatus
Die Impf-Daten des RKI/DIM per Landkreis in GitHub per 2022-02-04 ergeben nun folgendes Diagramm:

Aufgrund steigender Zweitimpfungen (vollständig) vs. Erstimpfungen (unvollständig) hat sich durch die Subtraktion dieser Zahlen die negative Anzahl der Menschen mit unvollständigem Impfstatus in der Altersgruppe 18-59 Jahre weiter erhöht.
Wegen der verschiedenen Datenquellen (inkl. manueller Eingabe) des RKI-Datensatzes (siehe Grafik), habe ich mich entschieden, die Impfungen mit entsprechendem Status im Zeitverlauf darzustellen.

Im Zeitverlauf ist erkennbar, dass es in Bielefeld seit September 2021 (beschriftet mit 2109) kontinuierlich mehr Zweit- als Erstimpfungen gibt. Diese stetige Entwicklung lässt (manuelle) Erfassungsfehler unwahrscheinlich werden.
Zusätzlich, dies muss ich zugegeben, habe ich auch folgenden Hinweis übersehen:
Personen, die mit Johnson & Johnson geimpft wurden, gelten daher als „mindestens einmal geimpft“, werden aber in der Tabelle der Landkreise ausschließlich in der Gruppe der vollständig Geimpften ausgewiesen (Impfschutz = 2). Eine Ableitung mindestens einmal geimpfter Personen ist nicht möglich, da aus den Daten nicht ermittelbar ist, wie viele Impfungen mit vollständigem Impfschutz auf Impfungen mit Johnson & Johnson entfallen.
Hinweis zur Berechnung der Impfquoten auf Basis der Landkreisdaten
Dieser Hinweis erklärt aber weiterhin nicht, warum inzwischen ÜBER 101% der Bielefelder Bevölkerung in der Altersgruppe 18-59 Jahre vollständig (Impfstatus = 2) geimpft sind.
Wie sieht es in OWL bzw. genauer, den umliegenden Landkreisen mit der vollständigen Impfung (also 1x J&J oder 2x Biontech / Moderna / AstraZ oder eine entsprechende Kreuzimpfung) aus?

Es ist auffällig, das gerade in den, an Bielefeld anliegenden Landkreisen Gütersloh, Herford und Lippe die Quote vollständig geimpfter Menschen gegenüber den entsprechen Impfquoten in weiter entfernten Landkreisen (Höxter, Minden-Lübbecke, Paderborn) niedriger ist.
Die Karte scheint also meine These zu unterstützen, das sich nicht nur die Bielefelder Bevölkerung in Bielefeld hat impfen lassen.
Als Bielefelder, der sich drei Mal im hiesigen Impfzentrum hat Impfen lassen (2x mit Einlesen der Krankenkassenkarte, bei der Auffrischungsimpfung reichte der Personalausweis), stellt sich mir nun die Frage:
Welche Menschen, mit welcher PLZ und welcher Altersgruppe haben sich im Impfzentrum bzw. Nähe Hauptbahnhof / Busbahnhof wann impfen lassen? Sind diese Daten überhaupt verfügbar bzw. kann die Koordinierende COVID-Impfeinheit (KoCI) der Stadt Bielefeld hier helfen, Unklarheiten zu beseitigen?
Infektionsgeschehen
Als am Freitagabend, 04. Februar 2022, die Corona-Irrlichter wieder durch Bielefeld marschiert sind, habe ich das beste Format der Bielefelder (Lokal-)Presse bzgl, des Infektionsgeschehens in unserer Stadt nachgehört: Das wöchentliche Corona-Update mit Krisenstabsleiter Ingo Nürnberger. Dieses Format von Radio Bielefeld bietet m.E. den besten, zeitnahen Einblick in die Bielefelder Verwaltung bzw. das Gesundheits-, Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt (GVLA), welcher nicht hinter einer Paywall versteckt ist.
Bevor ich nun auf die Inhalte des Interviews eingehe, möchte ich feststellen, dass ich hier keine persönliche Kritik an den handelnden, genannten Personen und mitarbeitenden Menschen äußere. Ich habe keinen Einblick in die Hintergründe, ich kann nur das Gesagte mit dem, ans RKI Berichtete abgleichen.
Mein Tool zur täglichen, externen Überwachung der Meldeaktualität des GVLA ist die Analyse der Altersstruktur der täglich, ans RKI übermittelten Neuinfektionen. Altersstruktur im Sinne von Neuinfektion / Labormeldung vs.Datum der Übermittlung ans RKI. Meldungen älter 48 Stunden sind als Nachmeldung aufgeführt.

Ausgehend von dieser Grafik, welche z.B. erkennen lässt, dass das GVLA am 24.12., dem 31.12. und dem 01.01 nicht gemeldet hat, bietet dieses Diagramm auch die Möglichkeit, die Aussagen im genannten Interview zu überprüfen.
Leider lässt sich die Aussage von Krisenstabsleiter Ingo Nürnberger in Minute 02:47: „Nein, wir sind an diesem Wochenende stärker besetzt.“ nicht bestätigen. Erneut, wie an den Wochenenden zuvor, sinkt die Anzahl, der am Samstag und Sonntag gemeldeten Neuinfektionen ab. Über die Gründe (weniger Labor-Testungen oder doch weniger Personal im GVLA) kann ich keine Aussage treffen.
Auch bei der Entwicklung der Reproduktionszahl bzw. des R-Werts auf Basis, der vom GVLA Bielefeld ans RKI übermittelten Zahlen habe ich Interpretationsprobleme.

Laut den, vom GVLA gemeldeten Zahlen haben, 100 infizierte Bielefelder:innen zum 25. Januar weitere 170 Personen angesteckt. Im Zeitverlauf ist das Verhältnis bis zum 02. Februar auf 100 zu 60 gesunken, um nun wieder auf 100 zu 130 zu steigen.
Wieso?
Die mathematische Erklärung ist relativ einfach. Seit Anfang der Kalenderwoche 5 – also seit dem 31. Januar – übersteigen die gemeldeten, tagesaktuellen Neuinfektionen deutlich die Nachmeldungen. Subsumiert man nun die Übermittlungen je Tag zu Übermittlungen je Kalenderwoche, wird diese Entwicklung noch deutlicher:

Grundsätzlich ist erst einmal zu loben, dass das GVLA nun mehr als 3.500+ Neuinfektionen je Kalenderwoche übermitteln kann – so grausam diese Anzahl auch ist, im Dezember war diese Zahl noch unvorstellbar.
Bezüglich der Veränderung bzw. die „Verjüngung“ der Altersstruktur der übermittelten Neuinfektionen kann ich aber nur Vermutungen formulieren. Meines Erachtens lässt sich diese Entwicklung nicht mit der veränderten Teststrategie an Kitas und (Grund-)Schulen erklären. Vielmehr lohnt sich wieder, das Corona-Update nachzuhören:
- Minute [00:00:29]: Wir haben […] einen erheblichen Rückstand, weil wir wirklich überschwemmt werden von Labormeldungen.
- Minute [00:03:16]: In der Kontaktnachverfolgung an und für sich konzentrieren wir uns wirklich auf Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Kitas und Schulen und andere größere Cluster, zum Beispiel in Unternehmen, wenn wir dort Cluster feststellen. Dort sind wir natürlich dicht dran.
Ich vermute, dass sich seit Anfang der letzten Woche die Priorisierung bei der Abarbeitung der Meldungen geändert hat. Jedenfalls kann ich mir nur so die Zahlenlage erklären. Meines Erachtens werden jetzt – statt chronologisch vorzugehen – erst neue Fälle mit Fokus auf KH, Pflegeeinrichtungen und Cluster bearbeitet / gemeldet. „Ältere“ Meldungen bleiben im Posteingang / Postkorb im länger unbearbeitet liegen.
Deshalb frage ich mich:
Wie hoch ist die aktuelle Anzahl der unbearbeiteten, nicht übermittelten SARS-CoV-2 Infektionen im GVLA Bielefeld?
Nachtrag 10.Februar 2022.
Gerhard Herrmann, der zuständige Abteilungsleiter im NRW-Gesundheitsministerium, bestätigte am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Landtags meine Vermutung.
Die Gesundheitsämter sollen die Bearbeitung der aufgrund der Omikron-Welle rasant gestiegenen Datenmenge jetzt priorisieren. Neue Meldungen sollten vor älteren Meldungen bearbeitet werden und Erstmeldungen vor Folgemeldungen.
Gerhard Herrmann, zuständiger Abteilungsleiter im NRW-Gesundheitsministerium, vor dem Gesundheitsausschuss des Landtags
Es ist also zu vermuten, das (sehr viele) ältere Meldungen noch nicht bearbeitet wurden und die reale Inzidenz in Bielefeld sehr, sehr viel höher ist.

Transkript: Radio Bielefeld – Corona-Update mit Krisenstabsleiter Ingo Nürnberger vom 04.Februar 2022 – Teil I
Dirk Sluyter [00:00:00] Es ist acht Minuten nach drei. Radio Bielefeld läuft an diesem Freitagnachmittag und zum Corona-Update für Bielefeld ist Ingo Nürnberger wieder im Studio – der Krisenstabsleiter. Herzlich willkommen, Herr Nürnberger.
Ingo Nürnberger [00:00:12] Hallo. Guten Tag.
Dirk Sluyter [00:00:12] Die 7-Tage-Inzidenz für Bielefeld liegt heute bei 778. Das ist ein neuer Höchstwert und trotzdem wohl deutlich unter dem tatsächlichen Infektionsgeschehen in Bielefeld. Wie realistisch sind die Zahlen denn? Wie bilden Sie die Corona-Lage in Bielefeld aktuell tatsächlich ab? [17.2s]
Ingo Nürnberger [00:00:29] In der Tendenz bilden sie die Lage ab, aber wir melden deutlich zu wenig. Also wir sind deutlich über 1.000. Das wissen wir auch. Wir haben so, wie alle möglichen anderen Kommunen um uns herum und auch, deutschlandweit einen erheblichen Rückstand, weil wir wirklich überschwemmt werden von Labormeldungen, sowohl was wirklich Neuinfektionen angeht, aber eben auch die Freitestungen, zum Beispiel, laufen ja auch so. Also wir kriegen unglaublich viele Meldungen und wir können das momentan nicht bearbeiten. Die IT, das habe ich ja auch schon mehrfach erklärt, hilft uns dabei auch so gut wie gar nicht. Was ich immer wieder feststellen muss, das ist nicht unser alleiniges Problem in Bielefeld, sondern das trifft mittlerweile, glaube ich, fast alle Kommunen in Deutschland. [51.8s]
Dirk Sluyter [00:01:22] Wobei aber die NRW-Zahlen auch die deutschlandweiten Zahlen dann doch deutlich drüber liegen. Die Meldeinzidenz in NRW bei 1.400, das ist noch mal ein ganzer Tacken drüber. Wenn alle solche Probleme hätten, irgendwas passt nicht.
Ingo Nürnberger [00:01:35] Ja, ich habe immer den Eindruck, das insbesondere die Kommunen, die mit SORMAS arbeiten – ich weiß es zum Beispiel aus dem Landkreis Herford, die haben auch Riesenprobleme – das gerade die Kommunen, die mit SORMAS arbeiten, besondere Probleme haben bei der Bearbeitung dieses Themas des Meldens. Und ich habe ja auch schon vor einiger Zeit schon darauf hingewiesen, dass wir zu spät angefangen haben, das habe ich ja auch eingestanden, das Meldeteam personell aufzustocken. Und es geht halt wirklich nur Schritt für Schritt. Aber wir haben es mehr als verdoppelt und sind auch noch nicht am Ende des Verstärkens dieses Teams und deswegen braucht, braucht es einfach Zeit. Aber wir haben jetzt auch die Kehrtwende geschafft. Das merkt man ja auch an den Zahlen, das wir jetzt deutlich näher an die Realität heranrücken. Und das ist alles nicht toll, das es jetzt so ist und dass wir nicht wirklich auf der Höhe der Zeit sind, aber noch einmal, darauf lege ich schon wert, im Grunde trifft es mittlerweile fast alle Kommunen.
Dirk Sluyter [00:02:37] Und zum Wochenende werden die Zahlen, die neu gemeldeten Zahlen wieder runter gehen, so wie in den vergangenen Wochen öfter? Unter anderem beim letzten haben sie es erklärt, eben mit auch Überstundenabbau.
Ingo Nürnberger [00:02:47] Nein, wir sind an diesem Wochenende stärker besetzt. Wir werden übrigens auch mit dem, was heute abgearbeitet worden ist, noch mal deutlich nach oben schnellen. Und es sieht auch so aus – leider, nachdem was wir jetzt schon an Meldungen haben, dass wir auch am Wochenende weiter nach oben gehen werden.
Dirk Sluyter [00:03:08] Diese vielen, vielen neuen Fälle. Das Gesundheitsamt hat ja bei der Kontaktnachverfolgung schon auf SMS-Benachrichtigungen umgestellt. Wie läuft das?
Ingo Nürnberger [00:03:16] Nein, es läuft insofern auch nicht total rund. Und zwar einfach deswegen, weil ja in dem Moment, wo der Fall gemeldet wird, auch die SMS rausgeht. Und wenn wir halt Rückstände haben beim Melden, weil es eben so viele Meldungen sind, die bei uns reingehen, dann ist das System zwar nach wie vor gut, aber es ist halt trotzdem so, das die Menschen trotzdem warten müssen tatsächlich, bis die Benachrichtigung vom Gesundheitsamt kommt. In der Kontaktnachverfolgung an und für sich konzentrieren wir uns wirklich auf Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Kitas und Schulen und andere größere Cluster, zum Beispiel in Unternehmen, wenn wir dort Cluster feststellen. Dort sind wir natürlich dicht dran.
Dirk Sluyter [00:04:03] Zu den Kitas und Schulen können wir gleich noch. Vielleicht einen Blick jetzt noch kurz auf die Krankenhaus-Zahlen: 75 Patienten, 14 auf einer Intensivstation. Das waren auch schon mal weniger. Wie ist die Rückmeldung aus den Kliniken?
Ingo Nürnberger [00:04:14] Also wir werden nach der Meldung von heute früh sogar über 100 gehen, an Menschen, die mit Corona, mit einer Corona-Infizierung in den Krankenhäusern sind. Es ist so, dass die meisten davon aber eben Corona infiziert sind, nicht unbedingt an Covid erkrankt sind, sondern tatsächlich ist das nur vielleicht ein Drittel.
Dirk Sluyter [00:04:37] Was trotzdem in ihrer Behandlung auch ein Unterschied macht?
Ingo Nürnberger [00:04:41] Genau. Auch die Zahlen auf den Intensivstationen sind auch ein bisschen nach oben gegangen. Was erzähle ich? Es gibt momentan zwei Probleme rund um Corona und Krankenhäuser. Das eine ist, dass jetzt über hundert Menschen mit Corona in den Krankenhäusern liegen, isoliert werden müssen und eben mit dem ganzen Schutzanzug und so weiter von den Beschäftigten in den Kliniken eben auch aufgesucht werden.
Dirk Sluyter [00:05:09] Ist ein viel höherer Aufwand.
Ingo Nürnberger [00:05:09] Also der Aufwand ist enorm. Und das zweite Problem ist, dass natürlich Omikron auch nicht an den Krankenhäusern und an den Beschäftigten vorbeigeht und deswegen auch noch mal die Zahl der Beschäftigten, die einsetzbar sind, eben auch schrumpft. Und das sind eigentlich die Dinge, mit denen die Krankenhäuser momentan am meisten zu kämpfen haben.
Dirk Sluyter [00:05:28] Die Situation bleibt herausfordernd, auch natürlich in Bielefeld. Und über das Geschehen an den Schulen, in den Kindertagesstätten, wo die Inzidenz ja noch mal höher sind, das wird ein Thema sein. Gleich hier mit Ingo Nürnberger, dem Leiter des Krisenstabs bei Radio Bielefeld.
Kommentare
Eine Antwort zu „Covid-19 Lage in Bielefeld“
[…] meinem letzten Beitrag zum SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen in Bielefeld sind ein paar Tage vergangen. Mein quantitatives […]